Führungs-Coach*in: der neue Lehrgang, seine Inhalte und Perspektiven – Interview mit Andrea Waeckerlin
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«Führungspersonen brauchen im Berufsleben nicht nur Menschenkenntnis, sondern vor allem ein ausgeprägtes Menschenverständnis.»

Von IBAW | 10.01.2024
Wieso sich Coaching und Führung nicht ausschliessen und wieso Coaching in Unternehmen immer wichtiger wird: Interview mit Andrea Waeckerlin.

Andrea Waeckerlin

 

Das IBAW bietet neu den Lehrgang Führungs-Coach mit Zertifikat und Diplomabschluss an. Was ist der Inhalt des Lehrgangs? 
Ich war auf der Suche nach einer Führungsweiterbildung, die einen engen Bezug zur Praxis hat. Ich wollte nicht nur Theorie lernen, sondern auch praktische Fälle aus dem Führungsalltag mit Gleichgesinnten teilen und besprechen.

  • Perspektive 1 – Grundlagen des «echten Coachings»: Kritiker behaupten, dass sich Coaching und Führung gegenseitig ausschliessen, da der Coach eine neutrale Haltung einnehmen müsse, und das sei in der Funktion als Führungsperson gar nicht möglich. Ich bin hier klar anderer Meinung: Wichtig ist die bewusste und kommunizierte Unterscheidung zwischen den beiden Rollen als Coach und Führungsperson. Mitarbeitende, Schüler, Klienten etc. sollen erkennen, wann die Führungsperson unternehmensbedingte Vorgehensweisen wählt und wann sie anhand der Coaching Methode die Entwicklung und Förderung des Gegenübers anstösst und begleitet. Denn eine Führungsperson ist nicht automatisch ein Coach, sie kann sich aber die nötigen Kompetenzen und Fähigkeiten für diese Rolle erarbeiten – und sie dann auch entsprechend einsetzen.
  • Perspektive 2 – die Rolle der Teilnehmenden und zukünftigen Führungs-Coaches. In diesem Lehrgang werden sie intensiv mit sich selbst, ihren Fähigkeiten, ihrem Menschenbild, ihren beruflichen Prägungen etc. konfrontiert. Für die Studierenden ist die Selbstreflexion ein zentraler Punkt: Was kann ich, was kann ich nicht? Wo sind meine Schwachpunkte? Bin ich bereits stabil genug in meiner Führungsrolle? Aber auch: Wo liegen meine echten Stärken? Auf ihre Selbsteinschätzung und ihre Überlegungen erhalten sie hilfreiche, konstruktive und manchmal auch fordernde Feedbacks, die sie in ihrer persönlichen Entwicklung weiterbringen. Dass sie darin grosse und entscheidende Schritte machen, zeigt sich in ihrer Dankbarkeit und ihrem Stolz auf das Erreichte.
  • Perspektive 3 – der Mensch und wie er funktioniert. Jede Führungsperson muss wissen, wie ein Mensch reagiert, wie er zu behandeln ist, was bei ihm Abwehrhaltungen provoziert und was seine Zugänglichkeit fördert. Dabei ist es wichtig zu wissen, welche Verhaltensweisen bei Menschen oft beobachtet werden– und wo es grosse individuelle Unterschiede gibt. Führungspersonen brauchen im Berufsleben nicht nur Menschenkenntnis, sondern vor allem ein ausgeprägtes Menschenverständnis. Denn wer sein Gegenüber nicht versteht, kann ihn schwer zu Zielen, Leistung und Zufriedenheit führen. Der zentrale Punkt beim Coaching ist die Fähigkeit, sich am Gegenüber zu orientieren. Oft wird hier der Vorwurf laut, dass dafür einfach eine «Gpürschmi»-Kuschelumgebung geschaffen werde. Aber das wäre kein zielführender Weg. Im unternehmerischen und auch im personenbezogenen Kontext nicht. Es braucht seitens Führungs-Coach ein ehrliches, ungespieltes Interesse am Gegenüber sowie Offenheit gegenüber Andersartigkeit, und gleichzeitig eine stabile Gradlinigkeit, ein fokussiertes Vorgehen, viel Durchhaltevermögen, welche für das Gegenüber zum Teil sehr fordernd sein kann, jedoch das Coaching sehr wirksam macht.
  • Perspektive 4 – Kommunikation und Konfliktsituationen. Dieses Thema hat in jeder Führungsausbildung einen hohen Stellenwert. Doch im Lehrgang «Coaching in der modernen Führung» wird die Thematik nicht vom Standpunkt der Führungsperson aus beleuchtet, sondern aus der Sichtweise des Coaches und die unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht. Die Aufgabe ist also: Wie kommuniziere ich als Coach, und wie löse ich als Coach einen Konflikt? Diese neue Perspektive macht das Thema besonders interessant und vermittelt ganz neue Aspekte.
  • Perspektive 5 – Nachhaltigkeit des neu erworbenen Wissens. Was die Studierenden hier lernen und erarbeiten, soll in der Praxis umsetzbar sein. Ich beobachte als Coach oft, dass Weiterbildungen absolviert werden, welche zwar interessant waren, das Gelernte jedoch nach kurzer Zeit brach liegt, weil es nicht umgesetzt wird/werden kann. Deshalb erarbeiten die zukünftigen Führungs-Coaches ihr eigenes, persönliches Coaching Konzept und setzen sich damit auseinander, wie das Wissen, die Coaching Methode und die Rolle als Führungs-Coach zukünftig im beruflichen Alltag eingesetzt werden kann. Im Lehrgang trainieren wir viele Umsetzungsmöglichkeit an realen Beispielen. Weil Praxisorientierung ganz vorne steht, haben Simulationen von herausfordernden Situationen und deren Analyse und Auswertung einen hohen Stellenwert. Die Studierenden sind dabei in einer aktiven Rolle und nicht passive Informations- und Wissenskonsumierende. Wir holen sie aus ihrer Komfortzone und betrachten sie von Anfang an nicht als Studierende, sondern als Führungs-Coaches.

 

Für welche Personen eignet sich der Lehrgang? Kann ich ihn auch besuchen, wenn ich noch keine Führungsperson bin?
Der Lehrgang richtet sich ausschliesslich an Personen, die bereits eine Führungsposition einnehmen. Denn er ist gezielt auf Führungspersonen ausgerichtet, die ihre Kompetenzen durch die Methoden des Coachings erweitern möchten.

 

Coaching ist vor allem auch für Führungspersonen eine wichtige Kompetenz. Wie meistere ich als Führungsperson schwierige Situationen im Team?
Ein Coaching in Bezug auf Konfliktsituationen folgt einem systemischen Prozess.

  1. Start: Die schwierige Situation erkennen. Das hört sich leicht an, wird jedoch oft nicht gemacht, weil Instrumente und Rahmenbedingungen fehlen, um solche zu sehen.
  2. Problem ansprechen und Soll-Situation beschreiben: Involvierte Personen erhalten die Möglichkeit, ihre Beweggründe zu erklären und ihre Sichtweise mitzuteilen. Ausserdem wird der Fokus nun weg vom Problem und hin zur bestmöglichen Situation
  3. Eigene Vorstellungen formulieren: Wie könnten Lösungswege aussehen? Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür? Involvierte Personen bekommen Verantwortung für ihre Denk- und Handlungsweise und werden somit ein entscheidender Teil der Verbesserung der Situation.
  4. Planung und Umsetzung der Lösung (Vorgehen, Zeitplan): Die Umsetzung der Lösungen wird nun konkret und gemeinsam geplant. Involvierte Personen tun dies anhand eigener Ressourcen und Einschätzungen. Das Ziel, welches erreicht werden soll, wird nicht aus den Augen gelassen. So entsteht Verbindlichkeit. Der Führungs-Coach nennt dies: Gradlinigkeit Manchmal sind hierfür mehrere Durchgänge erforderlich.
  5. Phasen der Umsetzung: Der Führungs-Coach ist in dieser Phase präsente Ansprechperson. . Er/sie   holt sich Informationen, analysiert, übermittelt regelmässige Feedback und hält konsequent am Ziel fest.
  6. Auswertung der Umsetzung: Die gemeinsame Auswertung, ob und wie das Ziel erreicht wurde ist entscheidend, um Korrekturen zu ermöglichen und eine weitere Verbesserung der Situation anstreben zu können. Geht nicht, gibt es nicht: Auch Konflikte, die schon länger bestehen, sind absolut lösbar!

 

Im Lehrgang wird auch Kommunikationspsychologie unterrichtet. Wie wichtig ist der psychologische Aspekt in einer erfolgreichen Teamführung?
Wie bereits gesagt, steht beim Coaching in Führungspositionen der Mensch, seine Ressourcen, seine Leistungsfähigkeit, Potenziale und Zufriedenheit im Zentrum: Es geht um den Menschen im beruflichen Alltag und um das Ziel, seine beste Leistung mit hoher Zufriedenheit zeigen zu können. Als Führungs-Coach bin ich daran interessiert, den Menschen, sein Denken und sein Handeln zu verstehen – denn wenn ich ihn nicht verstehe, kann ich ihn nicht coachen. Das ist nichts anderes als Psychologie.

 

Du bist seit 14 Jahren im Coaching tätig – was war dein prägendstes Ereignis in dieser Zeit?
Darüber könnte ich wohl ein dickes Buch schreiben! Prägend sind für mich die Eckpunkte in den Prozessen: herausfinden, was alles in einem Menschen steckt, erkennen, welche Potenziale brachliegen, ergründen, was verdeckt ist. Oft weiss das die Person, die mir gegenübersitzt, auch selbst nicht. Der Moment, in dem sie das alles realisiert, ist oft emotional, und beeindruckend. Prägend ist auch immer wieder die Tatsache, dass Menschen ihre schwierige Situation zwar erkennen, aber den Grund dafür nicht finden. Der Sprung von der Wahrnehmung der Symptome zur Bewusstwerdung der Ursache schaffen, ist das entscheidende Aha-Erlebnis, das es braucht, um Knoten und Blockaden zu lösen. Um ein Problem aus der Welt zu schaffen, braucht es oft viel weniger als man denkt.

 

Nun zur Entstehung des Lehrgangs: Wie kam es zur Entscheidung des IBAW, dieses Angebot zu erarbeiten?
Das IBAW hat zwar Führungsangebote, aber noch nicht in diesem Bereich. Doch in Zukunft wird Coaching immer wichtiger, und im Rahmen einer modernen Führung ist es eine Notwendigkeit. Dazu kommt: Die Arbeitswelt wird immer schneller und komplexer. Die Anforderungen steigen. Nicht nur an die zu erbringende, fachliche Leistung, sondern an die eigene Persönlichkeit und den Umgang mit Situationen und Personen. Gerade jetzt ist ein entscheidender Generationswechsel im Gang. Erfahrene Berufsleute mit grossem Wissen werden abgelöst durch die Generation Z, welche eine andere Form und Methodik an Grundschulung erfahren hat und andere Lebensmodelle und Arbeitsbedingungen vertritt. Sie lassen sich nicht mehr gleich führen wie 40- bis 60-Jährige. Eine nicht zeitgemässe Struktur der Führung führt dazu, dass sich die Potenziale der neuen Generation und aller Involvierten nicht entfalten können, dass Fluktuation noch mehr zunimmt und gerade in der Zeit von Fachkräftemangel es schwer sein wird, die gewünschten Kompetenzen und Leistungen zu erhalten.  Die Führung ist gefordert sich diesen Gegebenheiten anzupassen und nicht umgekehrt.

Coaching ist dafür nicht die alleinige Patentlösung. Aber es ist wichtig als Führungsperson differenziert mit den Mitarbeitenden umzugehen, damit sie ihre Leistung erbringen können.

Doch nicht nur die Leistung der Mitarbeitenden zählt, sondern auch ihre Zufriedenheit. Diese beiden Aspekte sind gleich wichtig und sollten gleichwertig gesehen werden. Eine zufriedene Person, ist leistungsbereiter, setzt sich stärker ein, entwickelt sich schneller und bleibt dem Unternehmen länger erhalten. Ein Gewinn für Unternehmen, die Berufsleute selbst und die Wirtschaft.

 

Wo startet man bei der Erarbeitung eines Lehrgangs?
Am Anfang stand ein erster Austausch mit der Frage, ob das Angebot des Führungscoachings ins Portfolio aufgenommen werden solle, da die Inhalte aktuell sind. Dann folgte der weitere Schritt: Welche Schwierigkeiten sind seit längerem und aktuell in den Führungsstrukturen und bei Führungspersonen beobachtbar und wie sollte es idealerweise sein? Was fehlt, damit man dort hinkommt? Danach erstellte ich das Konzept: Wo positionieren wir den Lehrgang, wen möchten wir ansprechen? Wir stellten uns von Anfang an einen branchenübergreifenden Lehrgang vor, der nicht nur auf Personalverantwortliche oder Projektleitende ausgerichtet ist. Es können z. B. auch Leitende einer Volksschule oder Sozialarbeitende teilnehmen. Dieses Prinzip eröffnet allen Studierenden neue Perspektiven.

Danach definierte ich Inhalte und Schwerpunkte innerhalb der komplexen und umfangreichen Thematik. Der erwachsenbildnerische Lehrplan ist vorhanden, nun musste der Lehrgang im Detail erarbeitet werden: Lernziele, Methodik, Dauer wurden definiert, Präsentationen vorbereitet und das eigens für den Lehrgang konzipierte Lehrmittel erstellt. Schliesslich wurden die Sequenzen und Inhalte auf die einzelnen Schulungstage heruntergebrochen und ein Stundenplan erstellt.

Die Qualitätssicherungsvorgaben für die Dozierenden waren schon vorhanden. Wenn man diesem Plan folgt, hat man einen roten Faden und vergisst nichts. Da es zu diesem Thema nur wenige Unterlagen und Unterrichtsmittel gibt, habe ich speziell für diesen Lehrgang ein eigenes Lehrmittel geschrieben. Nun sind die Schulungsunterlagen bereit, und andere Dozierende, welche übrigens alle erfahrene Coaches und Führungspersonen sind, werden umfassend in den neuen Lehrgang eingeführt.

 

Wie lange dauert es, so einen komplexen Lehrgang zu erarbeiten?
Mindestens ein halbes Jahr. Der inoffizielle Start war schon Jahre vorher – mit meiner praktischen Arbeit, meinem Wissen und meinen Erfahrungen im Coaching und mit vorhandenen Unterlagen aus anderen Seminaren, Workshops und Lehrgängen.

 

Die erste Durchführung ist im April geplant. Wie gross werden die Klassen maximal sein?
Allerhöchstens 12 Personen. Denn im Fokus steht das individuelle Vorgehen mit den einzelnen Teilnehmenden. Alle sollen gleichermassen gefordert und gefördert werden; das wäre bei grösseren Klassen nicht mehr gewährleistet. Es gibt auch eine minimale Klassengrösse: Mindestens fünf Studierende müssten es sein, damit die notwendige und sinnvolle Gruppendynamik entsteht, welche den Lehrgang bereichert.

 

Gibt es ein Anschluss-/Fortsetzungsangebot, um im Bereich Coaching noch weiterzukommen?
Auch bei uns gilt: kein Abschluss ohne Anschluss. Deshalb wird es nach Ende des Zertifikat-Lehrgangs ein Diplom-Modul geben, welches 30 Lektionen und ein vertieftes Training umfasst. Wer das IBAW-Diplom-Modul erfolgreich absolviert hat, schliesst es mit dem Titel «Dipl. Führungs-Coach IBAW» ab und hat dann die notwendigen Instrumente, Coaching-Tools und das Wissen, um zukünftig als Führungs-Coach in Unternehmen, Teams und mit einzelnen Personen im beruflichen Umfeld, Coaching erfolgreich einzusetzen.  Ich freue mich sehr auf diesen Lehrgang und die kommenden, zukünftigen Führungs-Coaches.


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Über die Expertin

  Andrea Waeckerlin ist seit 14 Jahren Geschäftsleiterin der Firma CrossCheck Coaching und selbstständiger Private & Business Coach, spezialisiert auf Firmenberatung mit Fokus auf Führungsgremien und -personen auf allen Stufen. Ursprünglich Lehrperson, hat sie in der Airline-Branche als Erwachsenenbildnerin Führungs-Seminare für angehende Flight Attendants in Führungsfunktionen entwickelt und geleitet. Ausserdem war sie im fliegerischen Bereich für die Ausbildung und das Training zuständig. Sie spezialisierte sich auf Kommunikationspsychologie und Konfliktmanagement, absolvierte ein dreijährige Coachingausbildung mit Diplomabschluss auf Master Stufe und war einige Jahre in der strategischen Unternehmensleitung eines KMU-Betriebes tätig.

Nebst der Leidenschaft als Coach tätig zu sei, arbeitet sie mit jungen Führungskräften, unterstützt sie in ihrer Entwicklung und gibt ihnen ihre Erfahrung weiter. Am IBAW unterrichtet sie in den Lehrgängen Teamleiter*in, Leadership und nun auch im neuen Lehrgang «Coaching in der modernen Führung» für angehende Führungs-Coachs.